Endokarditisprophylaxe

Bei der Endokarditis handelt es sich um eine bakteriell verursachte, subakut oder hochakut verlaufende Entzündung des Endokards (Herzinnenhaut), die mit einer hohen Mortalität (Sterblichkeitsrate) einhergeht. Da im Rahmen zahnärztlicher Eingriffe Bakterien aus der Mundhöhle ins Blutgefäßsystem übertreten können und dort eine transitorische (vorübergehende) Bakteriämie (Vorhandensein von Bakterien im Blut) verursachen, besteht die Gefahr, dass diese Bakterien bei Patienten mit bestimmten Risikofaktoren eine Endokarditis auslösen. Die bakterielle Besiedlung des Endokards soll durch eine sogenannte Endokarditisprophylaxe in Form von prophylaktischen Antibiotikagaben verhindert werden.

Bei gefährdeten Patienten liegen turbulente Strömungen an Engstellen oder Endokardläsionen im Herzen vor. Dort können sich Thromben (Blutgerinnsel) dem Endokard auflagern, die wiederum von den Endokarditis auslösenden Bakterien besiedelt werden.

Gemäß einer Kohortenstudie mit ca. 139.000 Probanden war das Risiko, an einer infektiösen Endokarditis zu erkranken, in den drei Monaten nach einem invasiven Dentaleingriff im Schnitt um 25 % erhöht (im Vergleich mit den Zeiten ohne solche Eingriffe). Mit einer antibiotischen Endokarditisprophylaxe lag die Häufigkeit im Mittel um 17 % niedriger, ohne Prophylaxe war sie um 58 % erhöht [2].

In der Endokarditisprophylaxe hat in den vergangenen Jahren ein Paradigmenwechsel stattgefunden: die verschiedenen Fachgesellschaften haben ihre Empfehlungen zur Antibiotikagabe, die zuvor bei Patienten mit Herzfehlern (auch Herzfehlbildung, Herzvitium) oder Herzklappenerkrankungen auf breiter Basis routinemäßig durchgeführt wurde, stark eingeschränkt. Hintergrund des geänderten Vorgehens sind die folgenden Tatsachen:

  • Es muss davon ausgegangen werden, dass alltägliche Hygienemaßnahmen wie die Zahnpflege und sogar der Kauvorgang selbst regelmäßig zu Bakteriämien führen. Sollte ein Patient aufgrund seines Allgemeinzustands empfänglich für die Entstehung einer Endokarditis sein, so könnte mit der passageren Antibiotikagabe im Zusammenhang mit einer zahnärztlichen Behandlung ohnehin nur ein sehr kleiner Prozentsatz der Endokarditiden verhindert werden.
  • Es fehlen für das Konzept der Endokarditisprophylaxe entsprechende standardisierte Studien am Menschen, die die Effektivität und Effizienz der Prophylaxe beweisen; vielmehr beruht das Vorgehen auf Fallberichten, tierexperimentellen Studien und teilweise uneinheitlichen Expertenmeinungen.

In einem weiteren Punkt ist sich die Expertenschaft ebenfalls einig: Eine gute Mundhygiene und gute zahnärztliche Versorgung mit Füllungen, ggf. Zahnersatz und Entzündungsfreiheit des Zahnhalteapparates sind für die gefährdeten Patienten als Prophylaxe einer infektiösen Endokarditis von großer Bedeutung. Zwar kann die Zahnpflege selbst auch Bakteriämien verursachen, gerade deswegen ist es aber wichtig, die Zahl der in der Mundhöhle ansässigen Keime unter Ausreizung aller Möglichkeiten durch hervorragende Mundhygiene auf ein Minimum zu reduzieren.

Indikationen (Anwendungsgebiete)

Von allen Fachgesellschaften wird eine Prophylaxe nur noch für Hochrisikopatienten empfohlen, bei denen eine Endokarditis im Erkrankungsfall mit hoher Wahrscheinlichkeit einen schweren bzw. letalen (tödlichen) Verlauf nehmen würde:

  • Patienten mit mechanischem oder biologischem Herzklappenersatz
  • Patienten mit rekonstruierten Klappen aus alloplastischem Material (diese Materialien sind dem Knochengewebe ähnlich, werden aber synthetisch hergestellt) in den ersten sechs Monaten nach der Operation; das Material ist nach diesem Zeitraum vollständig mit Endokard überzogen und darin integriert
  • Patienten mit überstandener Endokarditis, da diese bei Neuerkrankung eine höhere Komplikationsrate haben
  • Patienten mit angeborenen zyanotischen Herzfehlern (= Herzfehler mit Rechts-Links-Shunt; diese zeichnen sich durch die Zyanose – bläuliche Verfärbung der Haut oder Schleimhäute – aus, die durch die Umgehung des Lungenkreislaufs zustande kommt.), die operativ gar nicht oder palliativ mit einem systemisch-pulmonalen Shunt (Verbindung zwischen System- und Lungenkreislauf) versorgt sind
  • Patienten mit operierten Herzfehlern mit implantierten Conduits (mit und ohne Klappe) oder residuellen Defekten, wodurch turbulente Strömungen, d. h. turbulente Blutströmungen im Bereich des prothetischen Materials entstehen
  • alle operativ oder interventionell mit prothetischem Material behandelten Herzfehler in den ersten sechs postoperativen Monaten
  • herztransplantierte Patienten mit kardialer Valvulopathie (Herzklappenschäden)

Für oben genannte Patienten liegt die Empfehlung zur antibiotischen Abdeckung bei folgenden zahnärztlichen Eingriffen vor:

  • alle Eingriffe an der Gingiva (am Zahnfleisch), so z. B. die Zahnsteinentfernung und parodontalchirurgische Operationen
  • die intraligamentäre Anästhesie (ILA), bei der die Anästhesie durch Injektion eines Lokalanästhetikums (örtliche Betäubung) unter hohen Druck von 90-120 Newton direkt in den – bakteriell besiedelten – Desmodontalspalt (Spalt zwischen Zahn und Knochen) erfolgt
  • alle Eingriffe im Bereich der Apices (der Wurzelspitzen), so z. B. die Wurzelspitzenresektion
  • alle Eingriffe, die mit Perforationen der oralen Mukosa (Mundschleimhaut) verbunden sind, so z. B. Probeexzisionen (Entnahme von Biopsien) oder auch schon das Anlegen von Bändern für festsitzende kieferorthopädische Apparaturen; alle Eingriffe der Oralchirurgie

Ausdrücklich ausgenommen von der Endokarditisprophylaxe sind:

  • Lokalanästhesien in entzündungsfreies Gewebe
  • zahnärztliches Röntgen
  • Nahtentfernungen
  • Eingliedern herausnehmbarer kieferorthopädischer Apparaturen
  • Anpassung prothetischer Verankerungselemente
  • Lippentrauma
  • Trauma der oralen Mucosa (Mundschleimhaut)
  • physiologischer (natürlicher) Milchzahnverlust.

Kontraindikationen (Gegenanzeigen)

Cephalosporine sollten generell nicht gegeben werden, wenn der Patient bereits ein anaphylaktisches Geschehen, ein Angioödem (Synonym: Quincke-Ödem; dieses ist ein sich rasch entwickelndes, schmerzloses, juckendes Ödem (Schwellung) von Haut, Schleimhaut und der angrenzenden Gewebe) oder eine Urtikaria (Nesselsucht) nach Penicillin- oder Ampicillingabe erlitten hat.

Außerdem ergibt sich aus dem zuvor Gesagten, dass die prophylaktische Gabe von Antibiotika außerhalb des eng gesteckten Anwendungsschemas nicht angezeigt ist.

Das Verfahren

Die Antibiotikagaben bei zahnärztlichen Eingriffen zielen vor allem auf Streptokokken der Viridans-Gruppe ab.  Die Einzeldosis wird 30-60 min vor dem Eingriff verabreicht. Sollte dies nicht erfolgt sein, wird eine nachträgliche Gabe bis zu 2 Stunden postoperativ (nach dem Eingriff) als sinnvoll erachtet.

Wirkstoffgruppe
Wirkstoff Einzeldosis Erwachsene Einzeldosis Kinder
Aminopenicilline
Amoxicillin
2 g p.o.
50 mg/kg KG p.o.
Oralcephalosporine der 1. Generation
Cefalexin
2 g p.o.
50 mg/kg KG p.o.
Aminopenicilline
Ampicillin 2 g i.v.
50 mg/kg KGi.v.
Parenteralcephalosporine der Gruppe 1
Cefazolin
1 g i.v.
50 mg/kg KG i.v.
Parenteralcephalosporine der Gruppe 3a
Ceftriaxon
1 g i.v.
50 mg/kg KG i.v.
Lincosamide
Clindamycin
600 mg p.o./i.v.
20 mg/kg KG p.o./i.v.
Bei Penicillin-/Ampicillin-Allergie

Bei oralen Abszessen (umkapselte Eiteransammlung) muss außerdem mit einer Beteiligung von Staphylococcus aureus gerechnet werden. Empfohlen werden in diesen Fällen deshalb:

  • ein staphylokokkenwirksames Penicillin oder Cephalosporin
  • bei ß-Laktam-Allergie Clindamycin oder Vancomycin
  • bei methicillinresistenten Staphylococcus aureus-Stämmen (multiresistenten Staphylococcus aureus-Stämmen, MRSA) Antibiotika, die noch gegen MRSA wirksam sind

Mögliche Komplikationen

Wesentliche Gründe, warum man von der Endokarditisprophylaxe auf breiter Basis Abstand genommen hat, sind die möglichen allergischen Reaktionen auf das verabreichte Antibiotikum bis hin zur tödlichen Anaphylaxie (schwerste Form einer allergischen Reaktion, die schnell lebensbedrohlich werden kann), die durch den Paradigmenwechsel deutlich reduziert werden. Zudem wird die Entstehung von Bakterienresistenzen gegen das verabreichte Antibiotikum eingedämmt.

Weitere Hinweise

  • Bei Hochrisikopatienten ist die Antibiotika-Prophylaxe vor invasiven zahnmedizinischen Prozeduren (besonders vor Zahnextraktionen/Zahnentfernung oder anderen oralchirurgischen Eingriffen: s. o) mit einer signifikant reduzierten Inzidenz (Häufigkeit von Neuerkrankungen) von infektiösen Endokarditiden assoziiert [7].

Literatur

  1. Deutsche Gesellschaft für Kardiologie – Herz- und Kreislaufforschung: Prophylaxe der infektiösen Endokarditis; Der Kardiologe 4/2007
  2. Deutsche Gesellschaft für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde (Hrsg.): Endokarditis-Prophylaxe nur bei Hochrisikopatienten; DZM aktuell 3/2007
  3. Roulet JF, Fath S & Zimmer S. (2017). Zahnmedizinische Prophylaxe (5. Aufl.). Elsevier, München / Urban & Fischer.
  4. Tubiana S et al.: Dental procedures, antibiotic prophylaxis, and endocarditis among people with prosthetic heart valves: nationwide population based cohort and a case crossover study. BMJ 2017; 358 doi: https://doi.org/10.1136/bmj.j3776 
  5. Weber T. (2017). Memorix Zahnmedizin (5. unveränderte Aufl.). Thieme Verlag.
  6. Hellwege KD. (2018). Die Praxis der zahnmedizinischen Prophylaxe (7. aktualisierte und erweiterte Aufl.). Thieme Verlag.
  7. Thornhill M et al.: Antibiotic Prophylaxis Against Infective Endocarditis Before Invasive Dental Procedures. J Am Coll Cardiol 2022; https://doi.org/10.1016/j.jacc.2022.06.030