Parodontalstatus (Zahnfleischtaschenmessung)
Die Erhebung des Parodontalstatus (Zahnfleischtaschenmessung) ist ein zentrales diagnostisches Verfahren in der Parodontologie und dient der strukturierten Erfassung parodontaler Gewebeveränderungen. Im Fokus stehen dabei die Beurteilung von Entzündungszeichen, Taschenbildung, Attachmentverlust (Verlust des Zahnhaltegewebes) und weiteren pathognomonischen Befunden im Zahnhalteapparat (Zahnfach und umgebende Strukturen).
Indikation (Anwendungsgebiete)
- Routinemäßige parodontologische Befunderhebung bei gesetzlich Versicherten ab dem 18. Lebensjahr (gemäß BEMA)
- Diagnostik und Verlaufskontrolle bei Verdacht auf Gingivitis (Zahnfleischentzündung), Parodontitis (Entzündung des Zahnhalteapparats) oder periimplantäre Erkrankungen (Entzündungen um Implantate)
- Therapieplanung und -evaluierung im Rahmen konservierender und chirurgischer Parodontaltherapien
- Präventionsmedizinische Maßnahme zur frühzeitigen Identifikation entzündlicher Veränderungen des Zahnhalteapparats
Durchführungszeitpunkt
- Initial im Rahmen der Erhebung des parodontalen Ausgangsbefundes
- Re-Evaluation nach initialer Parodontaltherapie (z. B. Scaling, Wurzelglättung)
- Regelmäßige Verlaufskontrollen bei parodontal erkrankten Patienten (Recall-Intervall individuell angepasst)
Das Verfahren
Klinische Parameter
- Sondierungstiefe (ST): Vertikale Tiefe der Zahnfleischtasche in mm, gemessen mit einer kalibrierten Parodontalsonde (Messinstrument für das Zahnfleisch)
- Bluten auf Sondieren (BoP): Qualitatives Maß für die Entzündungsaktivität der Gingiva (Zahnfleisch)
- Klinischer Attachmentverlust (CAL): Summe aus Sondierungstiefe und Rezessionshöhe; reflektiert die irreversible Destruktion parodontaler Strukturen
- Furkationsbefall: Erhebung bei mehrwurzeligen Zähnen mittels spezieller Sonden (z. B. Nabers-Sonde)
- Rezession bzw. Hyperplasie: Veränderung des Gingivaverlaufs relativ zur Schmelz-Zement-Grenze (Zahnfleischrückgang oder -wucherung)
- Zahnlockerung (Mobilitätsgrad): Klassifizierung nach Miller (Grad 0–3)
Dokumentation
- Vollständige 6-Punkt-Messung pro Zahn (mesiobuccal, buccal, distobuccal, mesiolingual, lingual, distolingual)
- Eingabe in digitale oder papierbasierte Parodontalstatusformulare (Befundbögen)
- Ergänzende Fotodokumentation oder Röntgendiagnostik (z. B. Zahnfilm), insbesondere bei fortgeschrittenem Knochenabbau
Interpretation
- Gesunder Parodontalstatus: ST ≤ 3 mm, kein BoP, kein Attachmentverlust
- Gingivitis: BoP positiv, jedoch ohne Attachmentverlust
- Parodontitis: ST ≥ 4 mm, häufig mit BoP, Attachmentverlust und ggf. Furkationsbefall
- Progressionsbeurteilung: Vergleich früherer Befunde zur Einschätzung der Erkrankungsdynamik
Bedeutung
Die Zahnfleischtaschenmessung ist nicht nur diagnostisch relevant, sondern auch prognostisch bedeutsam: Sie ermöglicht die Identifikation von Risikopatienten und ist Grundlage jeder strukturierten Parodontalbehandlung nach den aktuellen Richtlinien der Deutschen Gesellschaft für Parodontologie (DG PARO) und den internationalen Klassifikationen (z. B. AAP/EFP 2018).
Literatur
- Sanz M, Herrera D, Kebschull M, Chapple ILC, Jepsen S, Berglundh T, et al. Treatment of stage I–III periodontitis – The EFP S3 level clinical practice guideline. J Clin Periodontol. 2020;47(S22):4–60. https://doi.org/10.1111/jcpe.13290
- Chapple ILC, Mealey BL, Van Dyke TE, Bartold PM, Dommisch H, Eickholz P, et al. Periodontal health and gingival diseases and conditions on an intact and a reduced periodontium: Consensus report of the 2017 World Workshop. J Periodontol. 2018;89(Suppl 1):S74 https://doi.org/10.1002/JPER.17-0719
- Lang NP, Suvan JE, Tonetti MS. Risk factor assessment tools for the prevention of periodontitis progression: A systematic review. J Clin Periodontol . 2015 Apr:42 Suppl 16:S59-70. doi: 10.1111/jcpe.12350.