Fissurenversiegelung

Unter einer Fissurenversiegelung (Versiegelung der Zahnfurchen) versteht man das kariesprophylaktische Auffüllen von Zahnfissuren (Zahnfurchen) und -grübchen (kleine Vertiefungen) mit dünnfließendem Füllungsmaterial.

Die Kaufläche eines Seitenzahnes besteht aus sogenannten Höckern und den sich dazwischen tief einfurchenden Fissuren (Zahnfurchen). Von einer gewunden verlaufenden Längsfissur gehen zahlreiche kleine Querfissuren ab. Dieses für die Kaufunktion sehr sinnvolle Relief bereitet bei der Mundhygiene Probleme, da die Fissuren auch bei optimaler Zahnputztechnik nicht ausreichend gereinigt werden können, wenn sie morphologisch ungünstig geformt sind.

Die makroskopisch tiefste Stelle einer Fissur stellt mikroskopisch betrachtet deren Eingang dar. Dieser Fissureneingang ist in der Regel deutlich enger als der Durchmesser einer feinen Zahnbürstenborste. Unterhalb dieser Einengung kann die Fissur noch bis zu 1 mm in die Tiefe reichen und sich dort ampullenförmig erweitern. Der Fissurengrund stellt somit eine optimale Ansiedelungsmöglichkeit für Mikroorganismen dar.

Die Molaren (Backenzähne) sind nach ihrem Durchbruch besonders anfällig für Fissurenkaries. Diese tritt bevorzugt in den ersten zwei Jahren nach dem Zahndurchbruch auf. Der günstige Zeitpunkt für die Fissurenversiegelung liegt etwa sechs Monate nach Eruptionsbeginn, wenn die Zahnkrone vollständig durchgebrochen ist, die Mineralisationsprozesse am beim Durchbruch noch nicht vollständig mineralisierten Schmelz (Zahnschmelz) abgeschlossen sind und der Zahn einer relativen oder absoluten Trockenlegung zugänglich gemacht werden kann.

Die Karies (Zahnfäule) breitet sich vom Fissurengrund, den nur eine dünne Schmelzschicht vom darunter liegenden Dentin (Zahnbein) trennt, unterminierend und klinisch schwer erkennbar aus, da der Zahnschmelz dabei über längere Zeit völlig unversehrt erscheinen kann. Die Fissurenversiegelung ist daher eine sehr sinnvolle und effektive prophylaktische Therapiemaßnahme zur Kariesverhütung, die den kariösen Befall der Fissuren deutlich reduziert. Nach aktueller evidenzbasierter Datenlage und der aktualisierten S3-Leitlinie „Fissuren- und Grübchenversiegelung“ gilt ihr kariespräventiver Nutzen als gut belegt [S3-Leitlinie].

Als Versiegelungsmaterial haben sich lichthärtende, dünnfließende Kompositmaterialien (Kunststoff-Füllmaterial) auf Methacrylat-/Acrylatbasis bewährt, denen teilweise Füllstoffe zugesetzt werden. Einige dieser Materialien setzen Fluoride frei, die zusätzlich die Entstehung von Karies hemmen sollen.

Indikationen (Anwendungsgebiete)

Die klinische Sicherheit der Fissurenversiegelung wurde lange aus verschiedenen Gründen kontrovers diskutiert. So kann beispielsweise eine klinisch verborgene Karies unter einem opaken Versiegler länger unbemerkt fortschreiten als ohne Versiegelung. Auch kann ein Teilverlust der Versiegelung zur erhöhten Kariesanfälligkeit der Kaufläche beitragen, anstatt deren Entstehung zu verhindern. Nach aktueller Evidenz überwiegt jedoch bei korrekter Indikationsstellung und konsequenter Kontrolle eindeutig der präventive Nutzen [S3-Leitlinie].

Die Indikationsstellung sollte bevorzugt bei Patienten erfolgen, bei denen erfahrungsgemäß mit der Entstehung einer Fissurenkaries zu rechnen ist. Dazu zählen insbesondere:

  • Kariesfreie Fissuren und Grübchen (kleine Vertiefungen) mit ungünstiger Morphologie (anatomisch kariesanfälliges Fissurenrelief)
  • Fissuren mit unproblematischer Oberflächenstruktur, wenn die Mundhygiene des Patienten – etwa durch manuelle oder mentale Einschränkungen – erschwert ist
  • Erhöhtes Kariesrisiko, z. B. bei bereits bestehender Glattflächenkaries
  • Erhöhtes Kariesrisiko bei Xerostomie (Mundtrockenheit)
  • Andere Ursachen für ein erhöhtes Kariesrisiko (z. B. zuckerreiche Ernährung, mangelhafte häusliche Mundhygiene, sozioökonomische Risikofaktoren)

Auf Grundlage der aktualisierten S3-Leitlinie [S3-Leitlinie] kommen weitere Konstellationen hinzu:

  • Kariesfreie Fissuren und Grübchen bei Patienten mit erhöhtem Kariesrisiko, etwa nach ausgeprägter Karieserfahrung im Milchgebiss oder bei bereits kariösen bleibenden Molaren
  • Fissuren und Grübchen mit nicht kavitierten kariösen Läsionen (Initialkaries, „white/brown spots“) zur Arretierung des kariösen Prozesses, sofern eine suffiziente Trockenlegung gewährleistet ist
  • Fissuren und Grübchen an hypomineralisierten oder hypoplastischen Zähnen (z. B. MIH-Molaren) ohne Oberflächeneinbruch
  • Kinder und Jugendliche mit Behinderungen oder besonderem medizinischem Unterstützungsbedarf, bei denen eine effektive tägliche Mundhygiene nur eingeschränkt möglich ist

Vorzugsweise werden die Molaren versiegelt. Bei entsprechendem Kariesrisiko kann die Indikation jedoch auch auf die Prämolaren (vordere Backenzähne), die Grübchen der Schneidezähne sowie auf die Molaren der ersten Dentition (Milchmolaren) ausgeweitet werden.

Kontraindikationen (Gegenanzeigen)

  • Applikation des Versiegelungsmaterials auf eine bestehende Fissurenkaries (kavitierte Läsionen, deutlich fortgeschrittene Dentinkaries)
  • Fehlende ausreichende Trockenlegung (z. B. wegen starker Speichelkontamination oder mangelnder Kooperation)

Vor der Behandlung

Vor der Behandlung ist der Patient mit einer adäquaten Zahnputztechnik vertraut zu machen. Es muss deutlich gemacht werden, dass eine Versiegelung nicht als Ersatz für eine konsequente Mundhygiene angesehen werden darf. Der Zahn wird lediglich auf der Kaufläche versiegelt, nicht jedoch in den – ebenfalls sehr kariesanfälligen – Approximalräumen (Zahnzwischenräume). Zudem ist die Entstehung von Randkaries an der Fissurenversiegelung prinzipiell möglich, insbesondere bei Teilverlust oder mangelhafter Mundhygiene.

Die Verfahren

1. Präventive Fissurenversiegelung

  • Trockenlegung: relative Trockenlegung mit effektiver Absaugung oder – wenn möglich – absolute Trockenlegung mittels Kofferdam [S3-Leitlinie]
  • Reinigung des zu versiegelnden Zahnes mit fluoridfreier Paste und Bürstchen
  • Konditionierung (Oberflächenanrauung mit Säure) des unpräparierten Schmelzes mit etwa 35-37%igem Phosphorsäuregel (H₃PO₄) für mindestens 30 Sek.; Ziel ist ein deutlich kreidig-weißes Ätzmuster [S3-Leitlinie]
  • Gründliches Absprayen für mindestens 20 Sek., besser bis zu 60 Sek.
  • Intensive Lufttrocknung: Der konditionierte Schmelz muss danach weißlich-opak erscheinen; gegebenenfalls Ätzvorgang wiederholen, wenn das Ätzmuster noch nicht erreicht ist
  • Applikation des Versiegelungsmaterials mit feiner Brush (Bürstchen) oder kleinem Kugelstopfer; ein farblich abgehobener Versiegler erleichtert die feine Verteilung und spätere Kontrollen auf Teilverluste des Materials, macht allerdings eine direkte Sichtkontrolle der Fissuren unmöglich
  • Lichthärtung des Versieglers nach Herstellerangaben (in der Regel 10-20 Sek.) [S3-Leitlinie]
  • Okklusionskontrolle (Bisslage): Kontrolle auf Störkontakte beim Schlussbiss unter Verwendung färbender Aufbissfolien und gegebenenfalls Korrektur
  • Fluoridierung: Durch die Konditionierung werden dem Zahnschmelz Mineralien entzogen; eine abschließende Fluoridierung trägt zur Remineralisation des nicht mit Versiegler beschichteten Schmelzes bei.

2. Erweiterte Fissurenversiegelung (invasive Fissurenversiegelung)

Anders als beim erstgenannten Verfahren werden hierbei dunkel verfärbte Fissurenanteile mit Fissurotomie-Instrumenten (Bohrer geringsten Durchmessers) vorsichtig eröffnet, um sicherzustellen, dass sich unter der Verfärbung keine Fissurenkaries verbirgt. In einem kleinen Prozentsatz der Fälle wird dabei tatsächlich eine bislang okkulte Karies nachgewiesen [S3-Leitlinie].

Im weiteren Verlauf sind beide Verfahren identisch. Der präparierte Schmelzbereich müsste für sich genommen nur etwa 30 Sek. angeätzt werden; de facto geht die Konditionierung jedoch regelmäßig über den präparierten Schmelz in unpräparierte Bereiche hinaus, sodass insgesamt auch hier eine Ätzdauer von bis zu 60 Sek. sinnvoll ist [S3-Leitlinie].

Nach der Behandlung

  • Der Patient sollte für etwa eine Stunde auf alles verzichten, was die Wirkung der Fluoridtouchierung beeinträchtigen kann (Essen, Trinken, Kaugummikauen, Zähneputzen usw.).
  • Es sollten regelmäßige Kontrolltermine – in der Regel halbjährlich – wahrgenommen werden, um Sitz und Integrität der Versiegelung zu überprüfen und gegebenenfalls eine Nachversiegelung vorzunehmen [S3-Leitlinie].

Mögliche Komplikationen

  • Teilverlust des Versiegelungsmaterials (z. B. durch Feuchtigkeitszutritt während des Verfahrens oder unzureichende Konditionierung) mit der Gefahr von Randkaries
  • Blasenbildung im Versiegelungsmaterial: Sind diese unmittelbar sichtbar, ist eine Ausbesserung möglich; werden sie erst im Verlauf der Tragezeit durch Abrasion freigelegt, kann es zur bakteriellen Besiedelung kommen.
  • Mangelnde Compliance des Patienten hinsichtlich der Kontrolltermine: Teilverluste werden zu spät diagnostiziert, Randkaries kann unbemerkt fortschreiten
  • Mangelnde Compliance des Patienten hinsichtlich der Zahnputztechnik: Trotz verbesserter Kariesprophylaxe auf der Kaufläche kann der Zahn an Approximalkaries (Zahnzwischenraumkaries) erkranken.

Literatur

  1. Heidemann et al. (2001). Amalgamfreie Füllungstherapie: Alternative Wege (1. Aufl.). Urban & Fischer.
  2. Ehrenfeld M, Gängler P, Hoffmann T, Schwenzer N & Willershausen B. (2010). Konservierende Zahnheilkunde und Parodontologie (3. Aufl.). Thieme Verlag.
  3. Patienteninformation: Fissurenversiegelung; Bundeszahnärztekammer 2/2011
  4. Roulet JF, Fath S & Zimmer S. (2017). Zahnmedizinische Prophylaxe (5. Aufl.). Elsevier, München / Urban & Fischer.
  5. Weber T. (2017). Memorix Zahnmedizin (5. unveränderte Aufl.). Thieme Verlag.
  6. Hellwege KD. (2018). Die Praxis der zahnmedizinischen Prophylaxe (7. aktualisierte und erweiterte Aufl.). Thieme Verlag.

Leitlinien

  1. S2k-Leitlinie: Fluoridierungsmaßnahmen zur Kariesprophylaxe. (AWMF-Registernummer: 083 - 001), Januar 2013 Langfassung
  2. S2k-Leitlinie: Kariesprophylaxe bei bleibenden Zähnen - grundlegende Empfehlungen. (AWMF-Registernummer: 083-021, Juni 2016 Kurzfassung Langfassung
  3. S3-Leitlinie: Fissuren- und Grübchenversiegelung. (AWMF-Registernummer: 083 - 002), Juni 2024 Langfassung