Füllungstherapie bei tiefen Kariesläsionen
Die Behandlung tiefer Kariesläsionen (tiefe Kariesstellen) nahe der Pulpa (dem Zahnnerv) stellt hohe Anforderungen an Diagnostik und Therapie. Ziel ist es, die Vitalität (Lebensfähigkeit) zu erhalten, Heilung zu ermöglichen und die Notwendigkeit einer Wurzelkanalbehandlung zu vermeiden. Moderne Konzepte setzen auf selektive Kariesentfernung (Selective Caries Removal – SCR) oder indirekte Überkappung (IPT).
Diagnostik und Therapieplanung
- Anamnese (Krankengeschichte), klinische Befunde (z. B. Reizbarkeit, Schmerzbild) und Röntgenaufnahmen sind essenziell zur Einschätzung der pulpalen Gesundheit (Gesundheit des Zahnnervs, reversible vs. irreversible Pulpitis).
- Keine spontanen nächtlichen Schmerzen, normale Sensibilitätstests, keine periapikalen (Wurzelspitzen-) Zeichen sprechen für die Indikation einer Vitalpulpa-Therapie (Behandlung zur Erhaltung des Zahnnervs) bei tiefer, aber vitaler Pulpa.
Methoden der Kariesentfernung
- Selektive Kariesentfernung belässt weich-affektiertes Dentin (weiches Zahnbein) über der Pulpa, um eine Exposition (Freilegung) zu vermeiden.
- Schrittweise Entfernung ist zeitaufwendiger, zeigt jedoch vergleichbare Erfolgsraten wie die one-step-Technik.
- Meta-Analysen belegen deutlich geringere Pulpaexpositionsraten (~4,5 %) gegenüber kompletter Entfernung (~19 %) bei selektivem Vorgehen.
Vitalpulpa-Therapien bei tiefen Läsionen
Indirekte Überkappung (IPT)
- Weich kariöses Dentin wird entfernt, hartes, verfärbtes Dentin nahe der Pulpa belassen.
- Biokompatible Materialien (gewebeverträgliche Materialien) wie Calciumhydroxid, MTA, Biodentine® oder Theracal LC werden aufgetragen, anschließend erfolgt eine adhäsive oder Glasionomerrestauration (Zahnfüllung).
- Klinische Studien zeigen Erfolgsraten über 90 % nach 24-36 Monaten.
- Calcium-Silicat-Zemente fördern die Dentinbrückenbildung (Bildung einer Schutzschicht) und weisen eine hohe Dichtigkeit auf.
- IPT wird von Leitlinien als Standardverfahren bei vitalen Zähnen empfohlen.
Direkte Überkappung (DPC)
- Nur bei kleiner, iatrogen bedingter Pulpaexposition (< 0,5 mm), kontrollierter Blutung und symptomloser Pulpa.
- Materialien: Calciumhydroxid oder bevorzugt Calcium-Silicat-Zemente wie MTA oder Biodentine®.
- Evidenzlage ist gering, daher nur in streng selektionierten Fällen empfohlen.
Materialien im Überblick
Therapieform | Empfohlene Materialien | Hinweise |
---|---|---|
IPT (indirekt) | MTA, Biodentine®, Theracal LC, Calciumhydroxid | Calcium-Silicat-Zemente bevorzugt, verbessern Dentinproduktion und Dichtigkeit |
DPC (direkt) | MTA, Biodentine®, Calciumhydroxid | Nur bei minimaler Exposition, aseptische Bedingungen notwendig |
Nachsorge und Heilungskontrolle
- Regelmäßige klinische und radiographische Kontrollen (Röntgenkontrollen) über mindestens 24 Monate
- Überprüfung auf Symptome, Pulpasensibilität oder periapikale Veränderungen
- Bei Anzeichen einer irreversiblen Entwicklung frühzeitige Wurzelkanalbehandlung
Besondere Entwicklungen und Optionen
- Silver Diamine Fluoride (SDF, Silberdiaminfluorid) zeigt hohe Wirksamkeit zur Kariessstagnation, ist jedoch noch kein Standard in bleibenden Zähnen.
- Hall-Technik bei Milchzähnen erreicht vergleichbare Erfolgschancen wie IPT, wird aber nur in spezifischen Fällen eingesetzt.
Fazit
Selektive Kariesentfernung und indirekte Überkappung mit Calcium-Silicat-Materialien gelten als evidenzbasierte Methoden der Wahl bei tiefen Kariesläsionen mit vitaler Pulpa. Direkte Überkappung sollte nur bei minimaler, iatrogener Exposition erfolgen. Eine bakteriendichte Versiegelung und regelmäßige Nachkontrolle sind für den Erfolg entscheidend.
Literatur
- Heidemann et al. (2001). Amalgamfreie Füllungstherapie: Alternative Wege (1. Aufl.). Urban & Fischer.
- Weber T. (2017). Memorix Zahnmedizin (5. unveränderte Aufl.). Thieme Verlag.