Knochendefektauffüllung

Operative Verfahren zur Knochendefektauffüllung dienen der Wiedergewinnung verlorener Knochensubstanz im Ober- bzw. Unterkiefer.

Eine Knochendefektauffüllung kann beispielsweise nach der Entfernung großer Zysten erforderlich werden. Auch um den Kollaps der Alveole (Zusammenbruch des knöchernen Zahnfachs) nach einer Extraktion (Zahnentfernung) zu verhindern, bieten sich besondere Techniken an. Dadurch können weit aufwändigere Methoden zur Augmentation (Kieferknochenaufbau) entfallen. Ebenso sind Knochendefektauffüllungen etablierter Bestandteil implantologischer Maßnahmen, ohne die eine Vielzahl von Implantaten nicht erfolgreich gesetzt werden könnte.

Knochenersatzmaterialien

I. Autogenes Knochenersatzmaterial

Als Goldstandard gilt die Verwendung von autologem (körpereigener) Knochen. Dabei handelt es sich um Knochen, der dem Patienten zuvor an einer anderen Stelle des Körpers entnommen werden muss. Als Entnahmestellen bieten sich der hintere Bereich des Oberkiefers, der Unterkieferwinkel oder die Kinnregion an.
Werden größere Mengen benötigt, ist die Entnahme aus dem Becken, den Rippen oder dem Schienbein möglich. Diese vergleichsweise größeren operativen Eingriffe machen einen Klinikaufenthalt erforderlich. Gleichzeitig ist die zur Verfügung stehende Menge an Knochen dennoch begrenzt.

Man unterscheidet:

  • freie Knochentransplantate – nicht vaskularisierte Transplantate (ohne Gefäßversorgung)
  • mikrovaskulär anastomierte Knochentransplantate – Transplantate mit Gefäßversorgung zur Versorgung größerer Defekte

Mittlerweile gibt es auch die Möglichkeit, autologen Knochen extrakorporal (außerhalb des Körpers) im Rahmen des sogenannten Tissue Engeneering zu regenerieren (erneuern). Die auf diese Weise hergestellten Bone Chips lassen sich in jeder gewünschten Menge produzieren und bestehen aus körpereigenen vitalen Knochenzellen in einer Matrix. Gleichzeitig werden Entnahmedefekte und Abstoßungsreaktionen vermieden.

II. Allogenes Knochenersatzmaterial

Auch allogener (körperfremder menschlicher) Knochen von Multiorganspendern wird zur Defektauffüllung genutzt. Hierbei besteht jedoch das Risiko einer Immunantwort auf das fremde Material mit der Folge einer Abstoßungsreaktion. Ferner birgt lediglich eingefrorener, lyophilisierter Knochen (FDBA freeze dried bone allograft) das Risiko von Erregerübertragungen wie z. B. einer HIV-Infektion, da das Virus im Zuge der Gefriertrocknung nicht sicher zerstört werden kann. Durch zusätzliche Demineralisierung und viruzide Behandlung im DFDBA-Verfahren (decalcified freeze dried bone allograft) kann jedoch eine sichere Inaktivierung von HIV erreicht werden. Insgesamt liegt das HIV-Infektionsrisiko durch diese Form des Knochens bei 1:1.600.000. Mit der Reduktion der Risiken durch die Demineralisierung geht jedoch eine Verschlechterung der osteogenen (die Knochenbildung fördernden) Potenz einher: DFDBA heilt in einigen Fällen fibrös ("faserreich") ein, die Umwandlung in Knochen bleibt aus.

III. Xenogenes Knochenersatzmaterial

Anorganischer Knochen boviner Herkunft (vom Rind) wird ebenfalls zum Ersatz von verloren gegangener Knochensubstanz eingesetzt. Beim Einsatz bovinen Materials muss der Patient über das Restrisiko der Infektion mit Prionen (BSE-Erreger) hingewiesen werden. Zur Reduktion des Übertragungs- und Allergenisierungsrisikos findet eine Deproteinierung (Entzug von Eiweiß) statt. Zurück bleibt der anorganische Knochenanteil, in den neuer Knochen einsprosst.

IV. Alloplastische Knochenersatzstoffe

Als alloplastisch werden synthetische (künstliche) Knochenersatzmaterialien bezeichnet. Auch in Kombination mit körpereigenem Knochen verwendet, füllen sie zunächst den Knochendefekt aus. Osteoblasten (knochenbildende Zellen) besiedeln die synthetischen Oberflächen. Anschließend läuft innerhalb einiger Monate bis Jahre die Umwandlung des Knochenersatzmaterials in körpereigenen Knochen ab. Je nach verwendetem Material wird dieses dabei vollständig oder teilweise abgebaut und ersetzt.

Alloplastische Materialien sind beispielsweise:

  • Hydroxylapatit
  • β-Tricalciumphosphat
  • ICBM − Insoluble collagenous bone matrix
  • Copolymere aus Polylactat/Polyglycolsäure
  • Calciumcarbonat

Am häufigsten werden Hydroxylapatit und Tricalciumphosphat eingesetzt. Tricalciumphosphat ist ein synthetisches, vollständig resorbierbares (sich abbauendes) Material. Hydroxylapatit wurde zunächst aus Rinderknochen gewonnen. Daher bestand das Restrisiko einer Infektion mit Prionen oder einer allergischen Reaktion. Mittlerweile ist auch synthetisch hergestelltes Hydroxylapatit erhältlich, sodass diese Risiken entfallen.

Weitere therapeutische Möglichkeiten

I. Wachstumsfaktoren

Um die Knochenregeneration noch zusätzlich positiv zu beeinflussen, werden zunehmend auch Wachstumsfaktoren eingesetzt. Dazu zählen beispielsweise Bone morphogenetic proteins (BMP), die zusammen mit synthetischem Knochenersatzmaterial eingesetzt werden und die Differenzierung von mesenchymalen Zellen (embryonalen Bindegewebszellen) zu Osteoblasten (knochenbildende Zellen) stimulieren.

II. Guided Bone Regeneration (GBR)

Die Abdeckung des Knochenersatzmaterials mittels einer resorbierbaren Membran wird auch als gesteuerte Knochenregeneration oder Guided Bone Regeneration (GBR) bezeichnet. Die Membran verhindert das Einwachsen des sich schnell regenerierenden Weichgewebes in den Defekt und ermöglicht so das langsamere Ausheilen des Knochendefektes durch Knochenneubildung.

Indikationen (Anwendungsgebiete)

  • Nach der Entfernung großer Zysten
  • Verhinderung des Kollapses der Alveole ("Zahnfaches") nach Zahnextraktion (Zahnentfernung)
  • Teil implantologischer Maßnahmen zur sicheren Setzung von Implantaten

Kontraindikationen (Gegenanzeigen)

  • Akute Infektionen im Operationsgebiet
  • Unkontrollierte systemische Erkrankungen, die die Knochenheilung beeinträchtigen
  • Allergien oder Unverträglichkeiten gegenüber den verwendeten Materialien
  • Schlechte Mundhygiene oder Rauchen

Vor der Operation

  • Sorgfältige Anamnese und Untersuchung, einschließlich Bildgebung (Röntgen, CT)
  • Aufklärung des Patienten über Risiken und Nachsorge
  • Absetzen gerinnungshemmender Medikamente in Absprache mit dem behandelnden Arzt

Die Operationsverfahren

Alle Verfahren dienen unabhängig vom verwendeten Knochenersatzmaterial (KEM) dem Ziel, die Osteoneogenese (Knochenneubildung) im Bereich des Knochendefektes anzuregen. Die implantierten Materialien werden dabei allmählich teilweise oder vollständig abgebaut und durch körpereigenen Knochen ersetzt.

Die Operationsverfahren, die mit einer Knochendefektauffüllung einhergehen, werden an anderer Stelle jeweils gesondert behandelt. Hierzu zählen beispielsweise folgende Eingriffe:

  • Kieferknochenaufbau durch Bone Splitting − Alveolarfortsatzspaltung, z. B. vor Implantaten oder nach unfall- bzw. krankheitsbedingtem Knochenverlust
  • Socket-Preservation-Technik − Auffüllen der leeren Alveole (des knöchernen Zahnfachs) nach Extraktion (Zahnentfernung), um eine Atrophie (Knochenschwund) zu verhindern und günstige Voraussetzungen für eine spätere Implantatinsertion zu schaffen
  • Kieferknochenaufbau über die Kieferhöhle (Sinuslift) − vor Implantatinsertion im Oberkiefer-Seitenzahnbereich nach Atrophie
  • Parodontalchirurgie − Chirurgische Maßnahmen zum Wiederaufbau des Parodonts (des Zahnhalteapparats) können neben der Gesteuerten Geweberegeneration (Guided Tissue Regeneration, GTR) über Membranen auch mit Knochendefektauffüllungen einhergehen.
  • Zystektomie − Operative Entfernung einer Zyste; die Entscheidung zur Defektauffüllung hängt hierbei von der Größe des entstehenden Hohlraums ab.

Anästhesieverfahren: Lokalanästhesie (örtliche Betäubung)
Operationsdauer: 30-90 Minuten

Nach der Operation

  • Regelmäßige Nachuntersuchungen zur Überwachung der Heilung
  • Gute Mundhygiene zur Vermeidung von Infektionen
  • Vermeidung von starkem Druck oder Belastung auf den behandelten Bereich
  • Schmerzmanagement nach Bedarf

Mögliche Komplikationen

Frühkomplikationen

  • Blutungen und Schwellungen im Operationsgebiet
  • Infektionen, insbesondere bei unzureichender Sterilität während des Eingriffs
  • Schmerzen, die in der Regel mit Medikamenten kontrollierbar sind

Spätkomplikationen

  • Abstoßungsreaktionen, insbesondere bei allogenem oder xenogenem Material
  • Unzureichender Knochenaufbau oder -integration
  • Resorption des augmentierten Knochens
  • Schädigung benachbarter Strukturen (z. B. Nerven) bei komplexen Eingriffen

Die Auswahl des Verfahrens und Materials hängt von verschiedenen Faktoren ab, darunter der spezifische Knochendefekt, die Gesundheit des Patienten und individuelle Präferenzen. Jedes Verfahren hat seine eigenen spezifischen Risiken und Vorteile, die bei der Operationsplanung berücksichtigt werden müssen.

Literatur

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  10. Horch HH, Neff A. (2022). Mund-Kiefer-Gesichtschirurgie (5. Aufl.). Urban & Fischer in Elsevier.

Leitlinien

  1. S2k-Leitlinie: Implantologische Indikationen für die Anwendung von Knochenersatzmaterialien. (AWMF-Registernummer: 083-009), Januar 2011 Deutsche Gesellschaft für Implantologie im Zahn‐, Mund‐ und Kieferbereich (DGI)

     
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