Mundvorhofplatte (MVP)

Eine Mundvorhofplatte (MVP) ist ein kieferorthopädisches Gerät, das im Rahmen der Frühbehandlung ab dem 4. Lebensjahr insbesondere zum Abstellen sogenannter Habits (Gebiss schädigende Angewohnheiten; orofaziale Dyskinesien) eingesetzt wird. Auch die Umstellung von Mundatmung auf Nasenatmung kann durch eine MVP unterstützt werden.

Werden Habits frühzeitig abgestellt, so werden dadurch spätere kieferorthopädische Maßnahmen unter Umständen überflüssig. Um dieses Ziel mit einer MVP zu erreichen, sind das 4. und 5. Lebensjahr als günstigste Zeitspanne anzusehen. Allen Habits ist gemeinsam, dass sie sich sowohl auf die Zahnstellung als auch auf die Entwicklung des Ober- und Unterkiefers sowie deren Lagebeziehung zueinander schädigend auswirken können.

Indikationen (Anwendungsgebiete)

Zu den schädigenden Angewohnheiten, die durch das Tragen einer MVP abgestellt werden können, zählen:

  • Das Lutschen am Daumen oder anderen Fingern: dies kann zum sogenannten lutschoffenen Biss führen, bei dem die Frontzähne beim Zusammenbeißen keinen Kontakt mehr aufweisen. Durch das Lutschen werden insbesondere die oberen Schneidezähne nach vorn bewegt und mit ihnen das Oberkiefersegment, in dem sie stehen. In der Folge kann der Oberkiefer transversal (in seiner Breite) im Wachstum gehemmt werden und die Zunge sich gewohnheitsmäßig zwischen die Schneidezähne legen. Je nach Dauer des Habits können sowohl die erste als auch die zweite Dentition (sowohl Milch- als auch bleibende Zähne) betroffen sein.
  • Der Schnuller bzw. Beruhigungssauger: wenngleich der Beruhigungssauger helfen kann, das Daumenlutschen abzugewöhnen, hat auch er, selbst bei anatomischer Ausformung, Folgen für die Gebissentwicklung und muss daher in einer zweiten Phase selbst abgewöhnt werden.
  • Ein falsches Schluckmuster: beim sogenannten viszeralen Schlucken wird die Zunge bei jedem Schluckvorgang gegen die Schneidezähne gepresst, anstatt sich, wie beim sogenannten somatischen Schlucken, dem Gaumendach anzulagern. In der Folge weichen die oberen und unteren Schneidezähnen nach labial (vorn) aus.
  • Wangenbeißen und -saugen: die Zähne werden auf der entsprechenden Seite in ihrem Längenwachstum gehemmt, die Kiefer können sich durch die auf eine Seite ausgerichtete Muskelbewegung seitenungleich entwickeln.
  • Lippenbeißen, -saugen und -pressen: die oberen Schneidezähne bekommen beim Pressen, Beißen oder Saugen an der Oberlippe Druck von labial (von der Lippe) und reagieren mit Kippung nach oral (zur Mundhöhle hin), wenn bislang nicht alle Schneidezähne durchgebrochen sind, was wiederum ein Durchbruchshindernis für die noch folgenden Schneidezähne bedeuten kann. Beim Saugen an der Unterlippe kippen die oberen Schneidezähne eher nach labial (vorn), außerdem gerät der Unterkiefer in eine Zwangsrücklage.
  • Einlagern der Unterlippe: Rückverlagerung des Unterkiefers und Kippen der oberen Schneidezähne nach vorn können die Folge sein.
  • Zungenpressen: starker Zungendruck kann eine lückenhafte Zahnstellung verursachen und mit Sprechstörungen vergesellschaftet sein.
  • Sprechstörungen, wie z. B. linguale Sigmatismen (zungenbedingte s-Lautfehlbildungen).
  • Habituelle (gewohnheitsbedingte) Mundatmung.
  • Das Kauen an Fingernägeln, Stiften u. Ä. kann sich ähnlich wie Lutschen auswirken.

Eine MVP kann sowohl helfen, Habits in einer Entwicklungsphase abzustellen, in der es bislang nicht zu einer Fehlentwicklung von Zahnstellung und Kiefern gekommen ist, als auch bereits in Maßen erfolgte Fehlentwicklungen rückgängig zu machen.

Das Verfahren

Konfektionierte Mundvorhofplatten sind in verschiedenen Größen, die auf das Milch- bzw. Wechselgebiss abgestimmt sind, erhältlich. Eine MVP besteht im einfachsten Fall aus einem starren oder elastischen Kunststoffschild, das im Mundvorhof (Raum zwischen Lippen bzw. Wangen und Zähnen) getragen wird. Je nach Indikation kann die MVP noch durch ein Käppchen im Zungenraum, ein Zungengitter oder eine an einem Drahtbügel im Zungenraum beweglich aufgehängte Perle ergänzt sein. Diese verschiedenen Typen werden abgestimmt auf den Indikationsbereich eingesetzt:

  • Lutschen: die einfache MVP hält den Daumen als verformendes Element von Zähnen und Kiefern fern. Bei lutschoffenem Biss mit Zungeneinlagerung kann auch eine MVP mit Zungengitter eingesetzt werden.
  • Beruhigungssauger: eine einfache elastische MVP wird als Saugerersatz angeboten.
  • Falsches Schluckmuster: die Zunge wird mit einer MVP-Perle beim Schluckvorgang an das Gaumendach geleitet. Durch die beweglich aufgehängte Perle wird die Zunge spielerisch an eine Lage weiter dorsal (hinten) gewöhnt. Ähnlich, aber ohne den aktiven Trainingseffekt funktioniert die MVP mit Zungengitter, mit dem die Zunge passiv von den Schneidezähnen ferngehalten wird.
  • Wangenbeißen und -saugen: eine einfache MVP verhindert das Einsaugen zwischen die Zähne.
  • Lippenbeißen und -saugen: wird ebenfalls durch eine einfache MVP verhindert. Nicht so effektiv kann gegen das Lippenpressen angegangen werden, denn auch mit MVP ist das Aufbauen des Pressdrucks möglich, wenn auch unkomfortabler.
  • Einlagern der Unterlippe: wird durch eine einfache MVP verhindert. Sollte der Unterkiefer durch das Habit schon rückverlagert sein, ist eine MVP mit Käppchen sinnvoller; die unteren Schneidezähne beißen auf das Käppchen, wodurch der Unterkiefer in seiner Lage nach ventral (vorn) beeinflusst wird.
  • Zungenpressen: MVP mit Zungengitter
  • Sprechstörungen: können begleitend zu logopädischen Maßnahmen mit einer MVP-Perle therapiert werden. Auch für eine muskelschwache Zunge ist die Perle ein ideales Trainingsgerät.
  • Habituelle (gewohnheitsbedingte) Mundatmung: häufig ist der gewohnheitsmäßig geöffnete Mund von einem schwachen Lippentonus begleitet. Dieser kann durch eine einfache MVP und Übungen, mit der diese durch die Lippen festgehalten wird, gestärkt werden. Bei behinderter Nasenatmung (Hals-Nasen-Ohrenarzt!) muss die MVP mit Luftlöchern versehen werden, die im Laufe der Umstellung auf Nasenatmung sukzessive verschlossen werden.
  • Kauen an Fingernägeln u. a.: eine einfache MVP wird als Ersatz angeboten.

Literatur

  1. Diedrich P. (2000). Kieferorthopädie I-III (1. Aufl.). Elsevier, München / Urban & Fischer.
  2. Böhme G: Sprach-, Sprech-, Stimm- und Schluckstörungen. Elsevier, Urban & Fischer Verlag 2003
  3. Knak S. (2003). Praxisleitfaden Kieferorthopädie (1. Aufl.). Elsevier, München / Urban & Fischer.
  4. Kieferorthopädie. Zahnärztliche Fachliteratur für die Patientenberatung. All Dente Verlag 2006
  5. Sander FG, Schwenzer N, Ehrenfeld M, Ahlers MO, Bantleon HP. (2011). Kieferorthopädie (2., neu erstelle und erweiterte Aufl.). Thieme Verlag.
  6. Weber T. (2017). Memorix Zahnmedizin (5. unveränderte Aufl.). Thieme Verlag.

     
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